Michel aus Lönneberga muss wieder in den Schuppen, Zappelphilipp mit dem Ärger und der Enttäuschung der Eltern klar kommen und wie wir alle wissen, geht die Erzählung von Max und Moritz ebenfalls schlimm aus.

In allen drei Geschichten sind es Jungen, die sich nicht angemessen benehmen und deshalb mächtig Ärger bekommen, was die Vermutung nahelegt, Jungen seien schwerer erziehbar als Mädchen. Neben Eltern unterliegen auch pädagogische Fachkräfte oft der irrigen Annahme, der Umgang mit Jungen sei schwerer als der mit Mädchen.

Jungen sind wunderbar lebendig, kreativ und immer für eine Überraschung gut. Man muss ihre Verhaltensweisen nur richtig verstehen und einordnen.

  • Jungen tragen ihre Konflikte und ihre Konkurrenz untereinander gerne mit „Kämpfchen“ aus, rangeln und raufen deshalb miteinander. Sie lernen dabei, an welcher Stelle es sich lohnt, sich zu behaupten oder auch einmal zurückzustecken, also Kompromisse einzugehen, Regeln festzulegen und die eigenen aber auch die Grenzen der anderen auszuloten. Eltern sollten in erster Linie dafür sorgen, dass Gewalt vermieden wird andererseits den Kindern zutrauen, dass sie eigene Regeln festlegen – schließlich wollen diese sich gegenseitig nicht ernsthaft verletzen.
  • Neurobiologen wissen, dass sich männliche und weibliche Gehirne deutlich unterscheiden. Ein bekannter Erklärungsversuch liegt in der Evolutionstheorie, Frauen waren eher für die Erziehung und Pflege der Kinder zuständig; entwickelten deshalb zum Beispiel stärker soziale und emotionale Fähigkeiten. Männer hingegen sorgten sich um die Beschaffung der Nahrung und der Abwehr von Gefahren, etablierten deshalb Fähigkeiten, mit Konflikten und Konkurrenz umzugehen. Wenn Eltern ihren Söhnen vermitteln, dass deren Gefühle und Impulse richtig sind, tragen sie dazu bei, Jungen zu selbstbewussten, feinfühligen und starken Männern zu erziehen.
  • Im Kindergarten und spätestens bei der Einschulung wird vielen Jungen ihr natürlicher Bewegungsimpuls zum Verhängnis, dort treffen sie häufig auf wenig Verständnis und viel Kritik. „Stillsitzen müssen“ führt dann schnell zu Motivationsverlust und Schulunlust mit den bekannten Konsequenzen. Konzepte, bei denen Jungen „bewegt“ lernen dürfen, steigern deren Leistungs- und Sozialverhalten. Bei den Hausaufgaben helfen Bewegungspausen.
  • Sätze wie „Jungen haben es in unserem Bildungssystem schwer“ oder „Jungen sind schwerer erziehbar“ sind falsch. Damit diese Prophezeiung keine wird, die sich selbst erfüllt, sollten Eltern ihren Söhnen einfach zutrauen, sich positiv zu entwickeln und ihren individuellen Weg der Entwicklung zu finden.
  • Studien widerlegen übrigens den Mythos, Jungen würden sich schulisch negativ entwickeln, sollten sie hauptsächlich von weiblichen Pädagogen unterrichtet werden. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Leistungen männlicher Grundschüler, die von Frauen und jenen, die von Männern unterrichtet werden.
  • Jungen sind „Macher“, brauchen keine Gebrauchsanweisung, wollen ausprobieren und analysieren anhand des Ergebnisses, welche Handlungsschritte notwendig sind, um ein passables Resultat zu bekommen. Da wird munter drauflos gewerkelt, um am Ende motiviert festzustellen: “Jetzt weiß ich, wie es geht.“

Kirsten Hückel-Dege

Diplom-Sozialpädagogin